Redebeitrag der Roten Flora zum Schanzenviertelfest 2004
Hallo und schön dass ihr alle gekommen seid zum diesjährigen Schanzenviertelfest. Dieses fest findet seit 1988 selbstorganisiert statt. Es entstand aus dem Widerstand gegen das “Phantom der Oper”-Projekt und hat sich inzwischen zu einem jährlichen Höhepunkt des Viertels etabliert.
In diesen 16 Jahren hat sich der Charakter dieses Festes von einem eher autonom organisierten Politfest zu einem immer kommerzieller werdenden Jubel-Event im Viertel entwickelt. Gerade anhand dieser Entwicklung lassen sich die Veränderungen im Viertel auch für den Rest des Jahres exemplarisch darstellen. Die schleichende Umstrukturierung mit der Verdrängung nicht kaufkräftiger Bevölkerungsteile ist fast abgeschlossen. An jedem warmen Tag feiert sich hingegen die “neue” hippe konsumorientierte Mittelschicht in Cafés und Boutiquen. Drogenabhängige, Einkommensschwache und Obdachlose sind in diesem Straßenbild nicht mehr erwünscht und werden vertrieben. Diese Verdrängung wurde und wird u.a. durch die Schließung des Fixsterns, die immensen Mietpreiserhöhungen, Platzverweise und willkürliche Festnahmen forciert. Inzwischen wird selbst das Biertrinken vorm Eingang des Sternschanzenbahnhofs polizeilich verfolgt. Trinken ist also nur noch vor schicken teuren Kneipen erlaubt.
Auch schon Alltag geworden, ist die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen und der Bau von teuren Eigentumswohnungen wie in der Susannenstraße realisiert bzw. im Schulterblatt geplant.
Trotzdem ist im Schanzenviertel der Widerspruch zwischen dem aufstrebenden Medienstandort und der gleichzeitigen Verarmung und Verelendung immer noch unübersehbar. Die Situation hier ist beispielhaft für eine Entwicklung, in der mit Armut und Ungleichheit nicht solidarisch umgegangen, sondern vielmehr die Ausgrenzung all jender oragnisiert wird, die z.B. nicht für 1-Euro-Jobs, sinnlose Beschäftigungsprojekte und für Projekte zumutbarer Arbeit zur Verfügung stehen wollen oder können.
Auch Stadtplanung orientiert sich hierbei nicht am Ideal einer Stadt, die sich auf die Bedürfnisse aller Menschen ausrichtet, sondern ist Teil der Vermarktung des öffentlichen Raums, zunehmend kommerzialisiert und privatisiert.
Diese Entwicklung wird von vielen SchanzenbewohnerInnen und Gewerbetreibenden gewollt und unterstützt, welche die zunehmende Verelendung in ihrem Viertel nicht sehen wollen. Mit offen rassistischer Stimmungsmache des Inhabers von “Better Times”, der etwas diskreteren Rhetorik des “Café Stenzel” oder prolligen Statements der “Bar ohne Scheiben”-Inhaber findet dieser reaktionäre Konsens seinen Ausdruck.
So kann in diesem ach so multikulturellen Stadtteil nun schon seit Jahren unter maßgeblicher Mitarbeit der STEG von Sicherheits- und Sauberkeitskonzepten gefaselt werden. Wir erlebten eine Kampagne gegen Hundescheiße, und die beschissene Politik der letzten Jahre wird als Errungenschaft quartiersbezogener Politik verkauft.
Wir müssen unsere alte Parole: “Flora für alle!” aus den 80ern wieder ausgraben und erweitern in die Richtung: “Schanze für alle, sonst gibt’s Krawalle!”
Das hier heute ein nicht vorher angemeldetes Fest stattfindet, ist ein etwas hilfloser Versuch, die eben beschriebenen Entwicklungen und unsere Art zu kommentieren:
Selbstorganisierung statt konsumorientierte Lifestyle-Kacke!
Öffentlicher Raum wirklich für alle!
Rote Flora, 28. August 2004